CARE - Anna Witt und Ulrika Jäger

02. - 06. September, 2017

Die sehr unterschiedlichen Arbeiten und Herangehensweisen der Künstlerinnen ergänzen sich in der Ausstellung „CARE“ auf faszinierende Art und Weise. Werden doch erst durch Ulrika Jägers skulpturale Plastiken, die den Raum okkupieren, die digitalen Eigenschaften eines Videos in seiner „Körperlosigkeit“ dem Betrachter bewusst. Gleichzeitig vermag der Film etwas deutlich zu machen, was nicht per se zum Charakter der Objekte gehört: die Bewegung, und somit ein Stück Lebendigkeit. In der Dokumentation einer Tanz-Performance kommen diese besonders deutlich zur Geltung.

Das Ungreifbare, Distanzierte des Videos kann vom Betrachter geradezu kompensiert werden anhand der sehr haptisch wirkenden und durch ihre Form und Materialität zur Berührung verführenden Objekte. Die Schwarzweiß-Drucke an der Wand verstärken noch diesen Eindruck: Haltungen, Anweisungen aus der Medizin, wie man einen Körper zu stützen und zu halten hat. Kurioserweise wird hier die Aufmerksamkeit wieder auf den Menschen und seinen Körper gelenkt. Dieser spielt eben auch bei Ulrika Jäger eine zentrale Rolle.

Die neue Videoarbeit von Anna Witt handelt von zwei indonesischen Altenpflegerinnen in Japan. In einem Interview erzählen sie der Künstlerin von ihren Beweggründen, derentwegen sie ihr Land verlassen haben, um im Ausland nach Arbeit zu suchen. Wir erfahren von einer massiv alternden Gesellschaft, in der die Pflege von Alten nicht öffentlich thematisiert wird, gehört sie doch traditionell zur Aufgabe der Töchter und Schwiegertöchter. Dem Problem und den daran Beteiligten wird Aufmerksamkeit und Anerkennung verweigert. Die Existenz der immigrierten Pflegearbeiterinnen wird von der Gesellschaft verschwiegen und ignoriert.

Auf der visuellen Ebene sehen wir eine Tanzperformance in Anlehnung an das japanische Tanztheater – Butoh, das seine Wurzeln im experimentellen Ausdruckstanz der zwanziger Jahre hat und sich gegen die „...grauenerregende artifizielle Harmlosigkeit und Biederkeit“ im Tanz und in der amerikanisierten japanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit auflehnte. Die Tänzerinnen im Video „Care“ interpretieren die Erfahrungen und Bewegungen der indonesischen Pflegerinnen. Nähe, Berührungen, Sich-Hingeben, Sich-Tragen-Lassen, Ermächtigung und Entmächtigung sind wichtige Themen im Zwischenmenschlichen, bei denen es immer auch um die Würde des Einzelnen geht (und die somit immer politisch brisant bleiben).

Ulrika Jägers Objekte und Installationen spielen ebenso im direkten Sinne mit Nähe und Distanz bzw. mit Anziehung und Ablehnung. Das Bedürfnis, diese zu berühren, kommt nicht von ungefähr. Sie erinnern an Gebrauchsgegenstände und wirken auf den ersten Blick eher vertraut, doch die Künstlerin verfremdet sie durch Weiterverarbeitung und arrangiert sie zu obskuren Gebilden, die eine neue Geschichte zu erzählen beginnen. Und plötzlich kehrt sich das Verhältnis zwischen Objekt und Betrachter, man berührt nicht – man wird berührt.

 

Text: Lisa Biedlingmaier